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Üben, üben, üben?

In den letzten Monaten fällt mir verstärkt auf, dass viele Schüler gehetzt wirken und das Gefühl haben, nur noch funktionieren zu müssen. Schon Grundschüler erzählen, sie seien im Stress. Und wie frustriert schauen Kinder und Jugendliche oft drein, wenn sie aufzählen, für welche Arbeiten sie diese Woche noch lernen müssen und dass sie eigentlich lieber einfach einmal wieder rausgehen oder sich mit Freunden treffen würden.

In meinen Augen ist das höchst tragisch.

Natürlich ist Lernen wertvoll.

Aber wir dürfen nicht vor lauter Sorge, die Kinder könnten in der Schule den Anschluss verpassen oder in dieser herausfordernden Zeit keinen zukunftssicheren Abschluss schaffen, ganz Wichtiges komplett übersehen:

Nur wer auch Phasen der Entspannung hat, kann konzentriert lernen. Vom freudigen Lernen ganz zu schweigen. Kinder lernen natürlicherweise aus sich heraus gern und wollen entdecken und erforschen. Wenn wir allerdings ständig Lernen und Überfordern verknüpfen, entsteht ein immer schlechteres Bild vom Lernen im Kind und es verliert die Freude daran.

Wichtig sind also auch Zeiten zur freien Verfügung. So haben die Schüler auch noch das Gefühl, selbstbestimmt zu sein. Sie können sich erholen und sich dann auch wieder beherzt ans Lernen für die Schule machen.

Auch Aufmerksamkeitsprobleme, die sich immer mehr häufen, werden damit oft deutlich gemildert, wenn nicht mehr eine ständige Überforderung durch zu viel Stillsitzen stattfindet.

Nicht zu vergessen: Im freien Spiel und beim Umgang mit Freunden werden absichtslos ganz viele Fähigkeiten trainiert, die zum Lernen wichtig sind.

Also bitte: trotz oder gerade wegen herausfordernder Zeiten immer auch bewusst Pausen einplanen

Üben in den Ferien?Und wie schaffe ich es, dass mein Kind nicht blockiert beim Üben?

Kurz vor den Sommerferien wurde ich oft von Eltern gefragt, wie sie in den Ferien mit ihrem Kind üben können und auch, welche Tipps es gibt, damit die Kinder dabei nicht blockieren. Etliche Mütter und Väter haben gerade nach diesem Corona-Jahr Sorgen, wie ihr Kind das nächste Schuljahr schafft. Sie sind bereit zu fördern, suchen liebevoll Lernspiele und die ansprechendsten Materialien aus und doch wollen das die Kinder oft nicht.

Warum wollen die Schüler nicht gemeinsam üben und was könnte helfen?:

Manche Kinder sind einfach erschöpft vom schulischen Lernen.

Das vergangene Schuljahr war sehr herausfordernd. Die Schüler benötigen Erholung und wollen und brauchen zudem neben der Schule ganz dringend Zeit, die sie frei gestalten können und auch Zeit, selbst Inhalte zu entdecken, die sie interessieren und die nicht von außen vorgegeben sind. Kinder sind von Natur aus sehr wissbegierig, wollen forschen und lernen, aber eben in ihrem Tempo und zu den Inhalten, die sie gerade interessieren. Unterbinden wir das zu häufig, indem wir Erwachsenen meinen zu wissen, was zu lernen im Moment wichtiger wäre, kann das Thema Lernen an sich negativ belegt werden. Genau das gilt es zu vermeiden, denn wir möchten ja, dass die natürliche Lernfreude erhalten bleibt, mit deren Hilfe sich Kinder Inhalte leicht erarbeiten.

Hier kann es also wichtig sein abzuwägen, wie viel ganz unverplante Zeit wichtig ist und wie viel Raum das Üben einnehmen darf.

Manche Eltern sind erschöpft

In vielen Elterngesprächen stellt sich heraus, dass die Mütter oder Väter ständig das Gefühl haben, ihr Kind fördern zu wollen und müssen, dass sie sich gleichzeitig aber erschöpft fühlen. Sie erwarten von sich selbst, die schulische Förderung leisten zu müssen und fühlen sich sonst als Versager.

Die ganze lange Homeschoolingzeit lang haben viele Familien Unglaubliches geleistet. Sie waren über die Maßen gefordert und mussten Aufgaben übernehmen, für die sie weder ausgebildet sind noch die optimalen Möglichkeiten dafür haben. Viele Eltern – in der Mehrzahl Mütter – haben ihr gesamtes übliches Tagesprogramm umgestellt, um es ihren Kindern zu ermöglichen zu Hause zu lernen. Die eigene Arbeit wurde zurückgestellt bzw. am späten Abend oder in aller Herrgottsfrühe oder mit ständigen Unterbrechungen erledigt. Sie haben alles gegeben, damit ihr Kind den Anschluss in der Schule nicht verliert und nun ist eigentlich schon längst keine Kraft mehr da, um auch noch zusätzlich zu fördern. Doch sie verlangen sich das ab, weil sie ja das Beste für ihr Kind möchten.

Dieser Punkt ist nicht zu unterschätzen in seiner Auswirkung. Feinfühlig wie Kinder sind, spüren diese oft die Überforderung der Eltern und verweigern sich beim Üben, weil sie unbewusst aus diesem Drama aussteigen möchten.

Was kann hier helfen? In erster Linie geht es wohl darum, einmal zu reflektieren, ob tatsächlich Kraft da ist für gemeinsame Übungen oder ob dringend Pause angesagt ist. Erkennen Sie wirklich von Herzen an, was Sie die ganze Zeit geleistet haben!

Gestehen Sie sich auch Pausen von der schulischen Förderung ein. Sie sollen Eltern bleiben und nicht Hilfslehrerfunktion übernehmen. Das ist auf Dauer nicht gesund.

Manchmal ist es sinnvoll, dass das Üben eine Zeit lang von einem Menschen außerhalb der Familie übernommen wird. Übt die Mama oder der Papa mit dem Kind, obwohl sie erschöpft sind, lassen die feinen Antennen des Kindes es vielleicht vermuten, dass es eine Last sei und dass es viel schneller kapieren sollte. Es setzt sich dann selbst unter Druck.

Überlegen Sie auch, ob es tatsächlich wichtig ist, Übungszeiten in den Ferien einzulegen, oder ob gemeinsame Spiel- und Unternehmungenzeit nicht ebenso wertvoll sind (bei Spielen, die das Kind nicht an negativ geprägtes Lernen erinnern, wird z.B. meist hervorragend die Aufmerksamkeit trainiert).

Die Schüler möchten mitbestimmen, wenn es um sie geht.

Viele Schüler wehren sich, wenn ihnen Übungszeiten oder Lernspiele oder -programme übergestülpt werden, auch wenn sie noch so liebevoll ausgesucht und dargeboten werden.

Die meisten Kinder wollen hier klar mitbestimmen, weil es ja um sie geht. Als Eltern kann man natürlich nicht alles das Kind entscheiden lassen. Und gerade junge Schüler können ja auch noch nicht einschätzen, welche Anforderungen auf sie zukommen.

Doch wir können sie klar einbeziehen.

Vielleicht mögen Sie sich in einer ruhigen Stunde einmal zusammensetzen und über diese oder ähnliche Punkte reden:

  • Was sollte geübt werden?
  • Sieht das Kind das selbst ein? Wenn nicht ist das Thema Motivation ganz wichtig. (Dazu finden Sie z.B. in meinem Online-Kurs ein riesiges Kapitel).
  • Was könnte das konkrete Ziel beim Üben sein?
  • Was ist das Kind bereit an Zeit aufzubringen (z.B. die ersten beiden Ferienwochen und die letzte Woche vor Schuljahresbeginn gar nicht, in der restlichen Zeit täglich 10 Minuten /einmal pro Woche 1 Stunde…)?
  • Was meinen Sie, was nötig wäre?
  • Worauf können Sie sich einigen?
  • Was meint Ihr Kind, wie die Übungszeit aussehen sollte? /Welche Art Unterstützung wünscht es sich? Optimal ist es, wenn Ihr Kind das Gefühl hat, dass es von Ihnen unterstützt wird statt dass es den Eindruck hat, dass Sie es nötigen zum Üben! Ist das Kind einverstanden, wird es viel eher mitziehen und Sie verlieren beide nicht mehr Energie. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Ansonsten denken Sie sich die schönsten Lernspiele, Übungen und vielleicht sogar Belohnungen aus und das Kind macht doch nicht so recht mit, die Energie verpufft oder es gibt Streit. Dann kostet es unglaublich viel Kraft und Sie arbeiten eher gegeneinander statt dass Nutzen entsteht.

Kinder wollen nicht, dass sich die Eltern wegen ihnen sorgen.

Ein Punkt, warum manche Kinder nicht gerne mit ihren Eltern üben ist, dass sie dabei jedes Mal die Erwartung spüren, dass sie besser werden sollten. Kinder wollen ihren Eltern keine Last sein. Sie möchten Mutter und Vater nicht enttäuschen und keine Sorgen bereiten. Wenn sie aber zusammen üben, spüren sie jedes unbewusste Zusammenzucken der Eltern, wenn sie wieder falsch rechnen oder schreiben.

Ich arbeite mit so vielen wundervollen Familien zusammen, wo die Eltern ihrem Kind absolut nicht das Gefühl geben wollen, dass es nicht richtig ist – ganz im Gegenteil. Aber Eltern und Kinder sind sehr eng miteinander verbunden und die Kinder spüren die Sorgen ihrer Eltern oft ganz genau, auch wenn diese sich ständig bemühen, nicht Kritik zu üben oder Forderungen zu stellen, was die schulische Leistung betrifft.

Bei manchen Schülern ist das auch der Grund, warum sie lieber mit jemand anderem lernen als mit Mama und Papa.

Als Eltern tun wir unseren Kindern also auch einen riesigen Gefallen, wenn wir selbst reflektieren, was unsere größten Sorgen bezüglich der Schule sind, nachspüren, was das Schlimmste für uns wäre, was passieren könnte, sodass wir die Sorgen nicht unbewusst auf den Kinderschultern ablegen.

Weiterhin ist es hilfreich, wenn Sie sich bewusst machen, dass es irgendeinen Sinn macht, dass die Situation gerade so ist wie sie ist und dass Ihr Kind sein Leben gut meistern wird, egal wie momentan die Noten aussehen. Wenn Kinder tief in sich wissen, dass Ihre Eltern glauben, dass sie ihren Weg schaffen, egal welche Hindernisse auftreten, stärkt ihnen das unbeschreiblich gut den Rücken. Die Glaubenssätze der Eltern werden zu ihren eigenen Glaubenssätzen. So weit es Ihnen also möglich ist: Glauben Sie an Ihr Kind! Es wird die Herausforderungen im Leben meistern, wenn Sie auch noch nicht wissen wie.

Ein kleiner „Trost“ zum Schluss, falls Sie manchmal an sich zweifeln und sich ratlos fühlen, wie die schulische Situation zu meistern ist: Es geht noch vielen anderen auch so. Es liegt bestimmt nicht an Ihnen. Und wir dürfen nicht erwarten, dass nach einem Jahr „Corona-Ausnahmezustand“ alles so perfekt laufen muss wie zuvor.

Meiner Ansicht nach ist es in der momentanen Situation, wo es im Außen so viele Ungewissheiten gibt, wichtiger denn je, dass die Familien zusammenstehen und schauen, dass sie so gestärkt sind, dass sie gemeinsam durchhalten, egal was kommt. Welchen Stellenwert hat der Zusammenhalt und dass jeder gestärkt in seiner Mitte ist im Vergleich zu schulischen Leistungen…

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